Dutzende von Käsesorten stehen uns an der Käsetheke zur Verfügung, eine bunte Vielfalt an Formen der Milch: zart oder hart, mild oder kräftig, mit weißem, rotem oder blauem Schimmel, mit Kräutern oder Gewürzen, aus Kuh-, Schafs-, Ziegen- oder Büffelmilch.
Handwerkliche Käsesorten sind eng mit ihrer Herkunftsregion verbunden, was sich im Geschmack und Geruch niederschlägt. So lässt sich bei handwerklichen Käsesorten zum Beispiel oft auf die Art der Tiernahrung schließen: Weidet das Tier frei auf der Alm? Ein Käse eines Tieres, das auch im Winter mit Heu gefüttert wurde, entwickelt eine charakteristische Geschmacksnote und unterscheidet sich allein schon deshalb von industriellem Käse.
Die geschmackliche Einzigartigkeit handwerklicher Milchprodukte kann durch industrielle Produktion nicht erreicht werden. Die Industrie setzt auf Standardisierung statt Vielfalt: Traditionelle und lokale Nuancen in Geschmack und Geruch, sowie Form- und Farbvielfalt von Milchprodukten werden zunehmend durch zeitoptimierte industrielle Herstellungstechniken und künstliche Hilfs- und Zusatzstoffe ersetzt. Die Zugabe von künstlichen Starterkulturen, unabhängig von der Herkunft, führt zur Vereinheitlichung des Geschmackes. Es geht nicht nur die Produktvielfalt und damit die Vielfalt auf dem Teller verloren, sondern auch enormes traditionelles Wissen um handwerkliche Verarbeitungs- und Reifetechniken und das Fortbestehen verschiedener Kulturlandschaften, wie den Almregionen.
Die Slow Food Arche des Geschmacks, das internationale Projekt zum Schutz der biologischen und kulturellen Vielfalt, schützt neben Nutztierarten und Kulturpflanzen unter anderem auch besondere handwerkliche Erzeugnisse. Sie beherbergt derzeit drei spezielle Käsesorten, die beim Riechen, Schmecken und im Bruch die eigene Entstehungsgeschichte erzählen:
Der Nieheimer Käse aus Nordrhein-Westfalen ist ein Sauermilchkäse aus Kuhmilch, der in Nieheim (Kreis Höxter, Ostwestfalen-Lippe) nach traditionellem Rezept hergestellt wird. Er wird aus fettarmem Sauermilchquark hergestellt. Der trockene, nur leicht saure Quark wird fein gemahlen oder geklopft. Nach einer Reifung von drei bis fünf Tagen wird der Käse mit Salz, Kümmel und Wasser zu Handkäse verarbeitet. Der Nieheimer Käse wurde vermutlich schon Anfang des 19. Jahrhunderts in Hauskäsereien hergestellt. 1927 bestanden in Nieheim noch ca. 80 Hauskäsereien, nach dem Krieg waren es rund 30 Häuser, in denen gekäst wurde. Heute vertreiben nur noch zwei Käsereien am Ort ihre selbst gemachten Produkte. Die Region um Nieheim hat eine lange Käsetradition. Dies hängt mit der charakteristischen Flechtheckenlandschaft zusammen. Im Schutze der Flechthecken (ein natürlicher "lebender" Zaun aus Haselnusshecken und eingeflochtenen Weidenzweigen) wuchsen am Rande der Wiesen und Weiden besonders viele nahrhafte und wohlschmeckende Kräuter, wodurch die Milch einen besonders guten Geschmack bekam.
Der Weißlacker aus Bayern ist ein Käse ohne Rinde, mit weißlicher, lackartiger Schmiere. Erfunden wurde der Weißlacker von den Wertacher Gebrüdern Josef und Anton Kramer im Jahre 1874. Ziel war, einen "Backsteinkäs" durch Erhöhen des Salz- und Fettgehalts haltbarer zu machen. Der Fettgehalt liegt bei 45%, der Salzgehalt bei 5%. Hergestellt wird dieser einzige authentische Käse des Allgäus nur aus Milch und Salz. Die Milch kommt von Bergbauern, deren Höfe über 800m über dem Meeresspiegel liegen. Auf artgerechte Tierhaltung wird großer Wert gelegt. Nach dem Einlaben wird der Bruch vorsichtig walnussgroß geschnitten, nach 2-3 Stunden auf Spanntischen ausgeschöpft. Nach dem Wenden werden die Käse für 2 Tage in ein 20%iges Salzbad gelegt. Sechs Wochen verbringt der Käse dann in einem warmen Raum, wo er zweimal pro Woche mit Salz "geschmiert" wird. Anschließend reift er neun Monate in einem Kaltlager. Die Herstellung ist heikel und nicht ohne Risiko. Der Weißlacker bereitet dem wahren Genießer ein auf der ganzen Welt einmaliges Geruchs- und Geschmackserlebnis.
Der Würchwitzer Milbenkäse aus Sachsen-Anhalt ist ein "Trüffel" unter den Käsesorten, seine ungewöhnliche Geschmacksvielfalt ist sehr geschätzt. Er wird aus getrocknetem Magerquark hergestellt. Die Grundlage sind dafür Ziegen-, Schafs- oder Kuhmilch.Der Käse lagert viele Wochen in Kisten mit speziellen Käsemilben. Hier erfährt der Quark seinen Reifeprozess. Die Milben fermentieren den Käse. Damit er nicht von ihnen aufgefressen wird, werden die Milben mit Roggenmehl gefüttert. Dieser Prozess kann ein viertel bis hin zu einem halben Jahr in Anspruch nehmen und erfordert eine intensive und individuelle Betreuung. Weil die Milben im Winter eine Ruhephase haben, kann der Käse auch nur saisonal vom Frühjahr bis zum Herbst hergestellt werden. Das Besondere des Milbenkäses ist die extrem lange Haltbarkeit, die bei einzelnen Exemplaren bis zu 30 Jahren nachgewiesen werden konnte.
Das internationale Projekt "Arche des Geschmacks" der Slow Food Stiftung für Biodiversität schützt seit 1996 traditionelle Lebensmittel, Nutztierarten und Kulturpflanzen vor dem Vergessen und Verschwinden, die unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen am Markt nicht bestehen oder "aus der Mode" gekommen sind. Die Passagiere der Arche des Geschmacks bringen Abwechslung auf den Teller und erhalten dabei die kulturelle und biologische Vielfalt der Regionen. Schwerpunkt der Arbeit ist das aktive Sammeln, Beschreiben, Katalogisieren und Bekanntmachen der Passagiere. Das Motto lautet: Essen, was man retten will! Denn: Was nicht gegessen wird, wird nicht nachgefragt, kann also nicht verkauft werden und wird deshalb nicht hergestellt. Weltweit gibt es über 2.000 Arche-Passagiere, in Deutschland sind zur Zeit 56: |