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Donnerstag, 21. November 2024
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WINZER ON TOUR
Picknick bei der Grabkapelle hoch über der Stadt (c) TMBW / Lengler
 
WINZER ON TOUR
Wer könnte uns die Weinlandschaft rund um Stuttgart besser zeigen als drei Menschen, die tief verwurzelt sind in der Region und selbst Wein herstellen? Ein Roadtrip zu ganz besonderen Lieblingsplätzen

Wenn Gegensätze zusammenkommen, fließend ineinander übergehen, dann entsteht etwas Einzigartiges. Wie in Stuttgart, der brausenden, von Weinhängen umgebenen Großstadt. Fabian Rajtschan, Stefanie Schwarz und Christoph Kern kennen diese Mischung aus Stadt und Weinlandschaft gut – denn sie kommen von hier. Als junge Winzerin und Winzer sind sie fast täglich im „Wengert“ rund um Stuttgart unterwegs. Sattgesehen an den sonnigen Hängen und den Ausblicken über die Stadt haben die drei sich trotzdem nicht. Und weil Stuttgart nicht nur die Tradition liebt, sondern auch jung und modern ist, gibt es dort immer wieder Neues zu entdecken. Zwei Tage waren sie gemeinsam mit dem Reisemobil unterwegs und haben für uns ihre Lieblingsplätze besucht.

Kirschbaumwiesen leuchten in der Mittagssonne, Grillen zirpen im Gras. Stefanie, Christoph und Fabian lassen ihr Auto auf dem Wanderparkplatz stehen und laufen die letzten Meter des Wanderwegs zum Grafenberg hinauf. Himmelsweg heißt der zehn Kilometer lange Rundwanderweg, der vorbei an den Wiesen und Wäldern des Remstals führt und auf dem Wandernde viel Wissenswertes über die Geschichte des Weinanbaus in der Region erfahren. Dank des milden Einflusses der Flüsse Neckar und Rems und der trockenen und sonnenreichen Spätsommer wird auf den Lagen in und um Stuttgart schon seit dem frühen Mittelalter Wein angebaut. Alte Rebsorten wie Riesling, Trollinger, Spätburgunder und Lemberger werden auf den sonnenwarmen Steillagen seit jeher gepflegt. Aber auch neue Sorten wie Cabernet Dorio und Acolon gedeihen auf den nährstoffreichen Böden, die hier im Remstal überwiegend aus Muschelkalk und buntem Mergel bestehen. Die Region um Stuttgart lädt ein zu einer Reise zum Wein – und mit dem Reisemobil ist man besonders flexibel, kann die Route spontan planen und als Gast einfach übernachten, wo es schön ist. Es gibt eine ganze Reihe schöner Stell- und Campingplätze.

Was für ein Ausblick! Andächtig stehen die drei jungen Weinleute auf dem Grafenberg und lassen den Blick über Rebhänge und waldbewachsene Hügel in der Ferne wandern, die sich in den klaren Himmel wölben und deren Umrisse so deutlich sind, als hätte sie gerade jemand in die Landschaft gemalt. Malerisch ist auch der Ausblick von der Esslinger Burg, der nächsten Station auf der Tour, zu der die drei sich mit ihrem Reisemobil aufmachen. Der Wein wächst bis an die mittelalterlichen Befestigungsmauern heran, die über der ehemaligen Reichsstadt am Neckar thronen, nur wenige Kilometer von Stuttgart entfernt. Fabian, Christoph und Stefanie spazieren durch den blühenden Burggarten, steigen die Staffeln hinab in den Weinberg, der umrandet wird von den Resten der alten Stadtmauer – und blicken bis auf die Schwäbische Alb.

Auch in Fellbach, dem nächsten Stopp entlang ihrer Route, können sie sich kaum satt sehen an der Landschaft. „Ist das nicht unglaublich?“ Stefanie meint die Wolkendecke, die wie frisch aufgeschüttelt am Abendhimmel hängt. Christoph und Fabian stehen neben ihr, sagen nichts und nicken nur bei dem Anblick, der sich ihnen hier, von der Panorama-Terrasse Fellbach, zeigt: über Weinhänge schweift der Blick bis zur Großstadt im Kessel und dem Stuttgarter Fernsehturm, dessen Spitze in den Wolken versinkt.

Coole Weinautomaten

Christoph, Fabian und Stefanie halten eine aufladbare Karte vor die Klimakühlschränke und wählen Weine aus, die perfekt gekühlt in ihre Gläser fließen. Den Abend der ersten Tour verbringen die Winzerin und ihre Kollegen in einer angesagten Weinlocation. Sitt Wein im hippen Stuttgarter Süden gibt es erst seit zwei Jahren. Dass sie mittlerweile zu den beliebtesten Bars der Stadt zählt, liegt auch an ihrem besonderen Konzept: Gäste dürfen sich selbst Weine aus dem großen Sortiment abzapfen – und somit Sommelier sein. Bis die letzten Gäste gegangen sind, stehen Stefanie, Fabian und Christoph an ihrem Stehtisch, essen Oliven, Käse und Baguette und kosten von den Weinen.

Am nächsten Mittag: Eine Sonnenterrasse mitten in den Weinbergen, mit Holztischen, Sonnenschirmen und schattenspendenden Bäumen: An Tag zwei der Tour durch ihre Heimat besuchen Christoph, Fabian und Stefanie Orte, wo man den traditionellen Weinanbau der Region auch schmecken kann, wie etwa die Kelter des Collegiums Wirtemberg bei Untertürkheim, einem Stadtteil von Stuttgart. Hier, mitten in den Weinbergen zwischen Untertürkheim und Rotenberg, wollen die drei Jungwinzer von den Weinen kosten, die von den Mitgliedern der Weingärtnergenossenschaft stammen. Mit dem Ausschank, den regelmäßigen Veranstaltungen rund um Wein und einem nachhaltigen Weinanbau setzt sich das Collegium Wirtemberg für den Erhalt einer lebendigen Weinkultur ein und dafür, die intakte Weinlandschaft rund um Stuttgart auch für die Zukunft zu wahren. Eine Weinphilosophie, die auch Stefanie, Fabian und Christoph am Herzen liegt. Die drei kosten von dem hauseigenen Riesling und schauen auf die Weinberge, die im Mittagslicht leuchten.

Auf dem rund 12 Kilometer langen Stuttgarter Weinwanderweg, der am Collegium Wirtemberg vorbeiführt, könnten sie bis zur Grabkapelle auf dem Rotenberg wandern, der letzten Station ihrer Route. Vorerst aber steuert das Trio mit seinem Reisemobil eine andere Destination an. Bei offenem Fenster fahren sie durch eine sommerliche Weinlandschaft zurück nach Stuttgart, mitten ins quirlige Zentrum. Vom Marienplatz im Süden der Stadt sind es nur wenige Gehminuten bis zur Karlshöhe. Hier, in dem bewirtschafteten Biergarten auf der Spitze des Stuttgarter Weinbergs, ist nichts zu spüren von der Hektik der Stadt, die sie von ihrem Tisch aus überblicken können.

Picknick bei der Grabkapelle

Fabian holt Trauben, Baguette, Käse und geräucherten Schinken aus dem Picknickkorb und drapiert alles auf der Decke im Gras. Den Abschluss der Tour krönen die drei mit einem Picknick bei der Grabkapelle. Auch Sekt und Weine von ihren eigenen Weingütern haben die drei mitgebracht. Die Trauben aus denen sie gemacht sind, wachsen an den besten Hanglagen, wie etwa dem Canstatter Zuckerle, der Stuttgarter Weinsteige, dem Altenberg oder der Stuttgarter Kessellage. Kesselliebe heißt dann auch eine Weinlinie, die Christophs Handschrift trägt. Und auch die Zahlenkombination auf dem Etikett der Flasche, aus der Fabian seinen Weißwein in Gläser schenkt, verleiht der Verbundenheit zur Heimat Ausdruck: es ist die Postleitzahl seines Weinguts in Feuerbach. Die Grabkapelle ist Stefanies Lieblingsplatz. Warum? „Weil dieser Ort eine Geschichte erzählt. Und weil man sich hier so fühlt, als wäre man ganz weit weg.“ Und tatsächlich: Hier oben, auf den Wiesen und Weinhängen rund um die Grabkapelle, die König Wilhelm I. im frühen 19. Jahrhundert zu Ehren seiner verstorbenen Frau errichten ließ, ist es ganz still. Dabei ist Stuttgart nicht fern. Von der Grabkapelle aus blicken die drei über eine geschwungene Weinlandschaft und die Stadt, die im Licht der Abendsonne silbrig glitzernd im Neckartal liegt.
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Eintrag vom: 17.09.2023  




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