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Alltägliches kann so besonders sein
Pane di Semola (c) TMBW / Lengler
 
Alltägliches kann so besonders sein
Sepia, Rote-Bete-Saft und Holzkohle sind nicht die typischen Brot­zutaten. Aber Jörg Schmid ist auch kein normaler Bäcker. Der Brotsommelier und Bäckermeister spielt oft mit Gewürzen und Farben, weiß aber auch traditionelle Brote zu schätzen. Heute hat er sich zum Erfahrungsaustausch mit Landfrauen im Beurener Backhaus getroffen

„Los geht’s“, ruft Heike aus der Tür, „der Ofen hat 300 Grad, wir müssen uns beeilen.“ Schließlich warten 45 Brotlaibe darauf, gedrückt und gewirbelt zu werden ... Und sind die schwäbischen Flammkuchen schon fertig?

Das Backhaus, in dem Heike heute gemeinsam mit ihren Freundinnen von den Landfrauen Beuren-Balzholz und Bäckermeister Jörg Schmid backt, liegt in Beuren. In der idyllischen Gemeinde am Fuß der Schwäbischen Alb gibt es insgesamt vier solche Häuschen, von denen zwei noch in Betrieb sind. Das Obere­ Backhaus im historischen Kern, das privat genutzt werden darf, und das über 100 Jahre alte Backhaus im Freilichtmuseum Beuren, in dem Backkurse angeboten werden. Nahezu jede Gemeinde besaß früher ein Backhaus. Es waren lange die einzigen Orte, an denen überhaupt gebacken werden durfte, da Privatöfen im 17. Jahrhundert aus Brandschutzgründen verboten waren. Heute hat zwar jede Wohnung ihre voll ausgerüstete Einbauküche, dennoch werden die mächtigen Steinöfen von Beuren wieder regelmäßig angeheizt. Und das ist nicht nur ein echtes Event für die Landfrauen und Familien von Beuren. „Es ist nachhaltig und unheimlich befriedigend, nach einem arbeitsintensiven Tag solch ein tolles Produkt in den Händen zu halten“, findet Jutta.

Sobald die Türen des Backhauses geöffnet werden, geht die Arbeit auch schon los. Die einen schichten getrockneten Obstholzschnitt in den großen Ofen und feuern ihn an. Die anderen bereiten in einem kleinen Nebenraum die Brotteige vor, belegen Dinnete, eine Art schwäbische Flammkuchen, und formen süße Zimtschnecken.

Aus dem Nähkästchen eines Brotsommeliers

Als der Ofen die 350-Grad-Marke erreicht, macht sich auch Jörg Schmid an die Arbeit. Der Bäckermeister hat in seiner Bäckerei in Gomaringen einen Pane di Semola-Teig vorbereitet, ein Brot aus italienischem Hartweizenmehl. Beim Kneten und Formen erzählt er Jutta und Heike von seinem Brot und dem Alltag als Bäckermeister und Brotsommelier. In seiner Kreation verwendet er einen „Madre“, einen italienischen Sauerteig, den er schon vor einigen Tagen angesetzt hat. Der wurde in den Semola-Teig gemischt, der dann noch einmal 24 Stunden lang reifen durfte. „Das ist gut für das Aroma. Ein gutes Brot braucht Zeit! Und einen Sauerteig“, sagt der Brotprofi. „Fertig gebacken ist das Pane di Semola wattig und fluffig zart, mit schönen Röstaromen, einer Sauerspitze im Abgang und einem leichten Zimtaroma“, schwärmt Jörg.

Wer, wenn nicht ein Brotsommelier, könnte den Geschmack eines Brotes so genau beschreiben? Doch das Ziel dieser Fortbildung an der Akademie in Weinheim ist in erster Linie das Foodmatching. Welches Brot passt zu welchem Belag, zu welchen Speisen und zu welchem Getränk? Um das alles zu verstehen und anwenden zu können, lernen die Bäckermeister bei der Weiterbildung die Geschichte und Kultur des Brotes kennen – und so einiges über Ernährung im Allgemeinen. Jörg Schmid erzählt, dass er sein Wissen nicht zuletzt nutzt, um seine Mitarbeiter und Kundinnen in Gomaringen noch stärker für das wertvolle Lebensmittel Brot zu begeistern und für seine Besonderheiten zu sensibilisieren.

Ab in den Ofen

Hübsch in Form gewickelt, können seine Semola-Brote noch etwas ruhen, denn zuerst kommt etwas anderes in den Ofen. Bei einem Tag im Backhaus wird traditionell nicht nur Brot gebacken: Der Ofen wird zu Beginn auf 400 Grad aufgeheizt und kühlt dann stundenlang ab. Dabei wird nahezu jede Temperatur genutzt: Bei 320 Grad backen Dinnete oder Pizza, bei 280 Grad die Brote. Ab 220 Grad kommen Hefezopf und Teilchen rein und danach Rührkuchen.

„400 Grad!“ Jetzt muss es schnell gehen. Nach dem Ausfegen des Ofens und dem Backen der Dinnete werden über 45 Brote in den Ofen eingeschossen. Die vorgeformten Laibe landen ganz hinten, dann kommt das Netzbrot. Netzbrotteig hat einen hohen Wasseranteil und wird deswegen nicht in Laibe geformt, sondern in den Ofen geschapft. Dafür wird eine Kelle, die an einem langen Stab befestigt ist, nass gemacht, eine Portion Teig in die Kelle gefüllt und darauf eine Handvoll Kleie verteilt. Die Kelle wird in den Ofen geschoben und der Teig mit einer schnellen Drehung auf die Steinplatte verfrachtet. Jörgs Brote landen als letzte im Ofen – die Bäckerinnen können endlich verschnaufen. Und verkosten, denn Jörg hat einiges mitgebracht.

Wie die Tussi(-stange) zu ihrer Farbe kommt

Die Tussi- und Machostangen sind als Erstes alle. Nicht nur, weil sie durch ihre rosa und schwarze Farbe besonders auffällig sind, sondern auch weil sie mit ihren Chia-Leindotter-Basilikumsamen und dem Holzkohle-Salz-Knoblauch-Topping besonders gut schmecken. Auch Jörg probiert seine Brote konzentriert. Er riecht daran, fühlt und kaut lange – alles mit geschlossenen Augen. Auch nach zwanzig Jahren als Bäcker und sieben als Brotsommelier empfindet er Brot immer noch als etwas Besonderes. Und er teilt sein Wissen gerne. Er verrät etwa, wie das schwarze Wurzelteigbrot (Machostange) und das rosafarbene Dinkelbaguette (Tussibrot) zu ihren Farben kommen: durch das Beimischen von Sepia und Rote-Bete-Saft. Vor allem beim Rote-Bete-Saft müsse man jedoch vorher entscheiden, wie das Endprodukt aussehen solle, verrät Schmid. Soll es auch innen rosafarben sein, müsse man das Brot sofort backen. Ließe man die vorgeformten Teiglinge über Nacht stehen, würden sie durch die Fermentation nur außen rosafarben sein.

Schmid: „Unser Brothandwerk ist eine Mischung aus Tradition und Innovation. Wir arbeiten sehr naturbelassen, toben uns aber gerne mit besonderen Gewürzen und Farben aus, um zu zeigen, wie wir in meiner Bäckerei Brot verstehen.“ Die Begeisterung ist gegenseitig: Auch das ofenfrische Brot der Landfrauen schmeckt dem Brotsommelier. „So gerne ich innovative Rezepte erfinde, mag ich traditionelle und puristische Brote doch am liebsten“, sagt er lachend. „Und ich bekomme richtig Lust, neue Kreationen auszuprobieren“, grinst Jutta und beißt in das Pane di Semola.

zum Bild oben:
Das Pane di Semola ist Jörgs Version eines apulischen Pane die Altamura (c) TMBW / Lengler
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Eintrag vom: 04.08.2023  




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