Tourismusschaffende aus Baden-Württemberg diskutieren über die Zukunft der Branche und mögliche neue Erfolgskennzahlen
STUTTGART/METZINGEN, 4. Juli 2023 – Beim Tourismustag der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (TMBW) ging es am 4. Juli in Metzingen um nicht weniger als die Frage, welchen Tourismus die Branche selbst sich künftig wünscht und wie sich der Erfolg des Urlaubslandes und seiner Destinationen in Zukunft bewerten lässt. Für die über 300 anwesenden Tourismusschaffenden war es der Startschuss zu einer Debatte, die zu einer Neubewertung der heimischen Reisebranche beitragen soll.
„Im Tourismus definieren wir Wachstum und Erfolg seit langer Zeit vor allem als ein Wachstum unserer Gäste- und Übernachtungszahlen“, sagte Staatssekretär Dr. Patrick Rapp zum Auftakt der Veranstaltung. Als Präsident des Tourismus-Verbands Baden-Württemberg begrüße er eine breite Debatte darüber, wie die Branche ihren Erfolg definieren wolle. „Klar ist, dass wir unsere Gästezahlen nicht auf Dauer und nicht ins Unermessliche steigern können“, so Rapp. Es gehe vielmehr darum, dauerhaft die Anforderungen von Betrieben, Gästen und Einheimischen in Einklang zu bringen.
Neues touristisches Ökosystem
Wie ein solcher Ansatz funktionieren kann, skizzierte der Wiener Zukunftsforscher Andreas Reiter in seinem Impulsvortrag. Für ihn wirken die multiplen Krisen der vergangenen Jahre lediglich als „Beschleuniger für eine radikale Runderneuerung“ und für eine grundlegende Transformation des Tourismus. Aktuell verschiebe sich die Gewichtung der Branche vom quantitativen Wachstum hin zu qualitativer Entwicklung. Hierzu gehört für Reiter ein ganzheitlicher Ansatz, der alle Beteiligten einbezieht: „Das neue touristische Ökosystem ist mehr als die Summe der einzelnen Akteure. Es wird getragen von einem neuen verantwortungsvollen Spirit, der Qualität vor Quantität einfordert, Wertschätzung vor Wertschöpfung, Gemeinwohl vor Partikular-Interessen.“
Mit einer neuen Bewertung von Wachstum geht auch die Frage einher, wie sich der Erfolg des Tourismus künftig messen lässt, falls Gäste- und Übernachtungszahlen als maßgeblicher Wert an Gewicht verlieren. Hier steht die Tourismusbranche noch ganz am Beginn einer Neuausrichtung. Mögliche Alternativen stellte die Stuttgarter Tourismusforscherin Vanessa Borkmann vor, die den gesellschaftlichen Beitrag des Tourismus insgesamt besser erfassen möchte. Hierfür müsse man neue Kennzahlen entwickeln, um die Relevanz der „Gastwelt“ ganzheitlicher zu bewerten: „Dazu könnten unter anderem Kennzahlen wie der Social Impact, Gemeinwohl, Nachhaltigkeit oder auch der Digitalisierungsindex dienen.“
Tourismus und Gemeinwohl
Wie sich eine Tourismusdestination jenseits von reinem Wachstum neu aufstellen und dabei am Gemeinwohl orientieren kann, präsentierte Christian Haselsberger, der für den österreichischen Tourismusverband Wilder Kaiser als Lebensraum-Manager die Interessen von Einheimischen und Urlaubsgästen zusammenführt. Die Region gilt als Vorreiterin in Sachen Gemeinwohl-Ökonomie und verfügt bereits seit 2019 über eine Gemeinwohl-Bilanz. Mit dieser Ausrichtung verbunden ist die Motivation, die eigene Region zu einem lebenswerten und nachhaltigen Lebensraum weiterzuentwickeln: „Ein intensiver Dialog mit der Bevölkerung und ein Denken nach der Gemeinwohl-Ökonomie sind Basis für dieses Handeln“, so Haselsberger.
Was alle am Tourismustag vorgestellten Ansätze verbindet, ist die Überzeugung, dass die Branche weit mehr umfasst als das Beherbergen und Bewirten von Gästen. Ein verantwortungsvoller Tourismus bringt die Interessen von Einheimischen und Gästen in Einklang, steigert die Attraktivität des Standorts und strebt neben ökonomischem Erfolg auch ökologische und soziale Nachhaltigkeit an. Wie sich all dies messen und bewerten lässt, ohne ausschließlich auf Übernachtungszahlen zu schauen, muss nun weiter diskutiert werden. Wachstum um jeden Preis hat dabei auch in der Tourismusbranche als vordergründiges Ziel längst ausgedient. |